Die „Expansion“ der Raiffeisenkasse Hagen wurde in den 1960er Jahren eingeleitet

Bereits 1956 hatte man die Spar- und Darlehnskasse Hagen in Raiffeisenkasse Hagen umfirmiert. Schon 1962 folgte die Umfirmierung in Raiffeisenbank Hagen. Die Firmenbezeichnung sollte die Entwicklung der Genossenschaft zum Ausdruck bringen: von der Dorfkasse zur Dorfbank.1

Die Raiffeisenbank Hagen profitierte seit den 1960er Jahren von der Umstellung von Lohntüte auf die bargeldlose Gehaltszahlung: Auch die Klöckner-Werke hatten die bargeldlose Gehaltsauszahlung eingeführt, was der Bank nun vermehrt Privatkunden zuführte (Arbeitnehmer, die jetzt anders als zuvor ein Girokonto benötigten). Bis dahin waren es vor allem Inhaber von Unternehmen, von landwirtschaftlichen Betrieben oder Handwerksbetrieben, gewesen, die mit der Bank in Geschäftskontakt standen (was sich auch in der Besetzung der Vorstands- und Aufsichtsratsposten widerspiegelte). Auch wirkte sich die verstärkte Bautätigkeit positiv auf die Entwicklung der Bank aus. Bei vielen Eigenheimen übernahm die Raiffeisenbank die Finanzierung: „In einigen Baugebieten waren bestimmt 50 bis 60 Prozent der Eigenheime über uns finanziert, erinnert sich Heinz Niemann, bis 2006 Aufsichtsratsmitglied, heute Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der VBGHB.2

Heinz Niemann

Heinz Niemann kam 1976 zur Raiffeisenbank Hagen. Er wurde 1939 geboren, absolvierte ab 1958 eine Ausbildung bei der Raiffeisenbank in Langen (Emsland). Anschließend besuchte er den Kurs zur Erlangung der Qualifikation als Vorstand an der Genossenschaftsschule in Rastede:Die Kurseinheiten dauerten immer mehrere Wochen. Das Bestehen eines Kurses war Voraussetzung für die Teilnahme am Folgekurs. Nach Abschluss und bestandenen Prüfungen der mehrjährigen Kurse wurde damals etwa 35 Personen im gesamten Weser-Ems-Verbandsgebiet ein Diplom überreicht. Dieses Diplom war Voraussetzung, um vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, heute BaFin, die Genehmigung zu erhalten, eine Bank als Vorstand zu leiten.3

Da Heinz Niemann nun die Voraussetzungen zur Leitung einer Bank erfüllte, wurde sprach ihn der Verbandsmitarbeiter Herrn Timmermann an, ob er Interesse hätte, nach Hagen zu gehen und dort Geschäftsführer bzw. Vorstand bei der dortigen Raiffeisenbank zu werden. Die „Außendienst-Mitarbeiter des Verbandes haben vielerorts die Generalversammlungen begleitetet, dafür sorgten, dass alle Abläufe satzungsmäßig vorgenommen wurden, auch oft Worte zur Eröffnung gesprochen aber auch dafür gesorgt, dass Wortgefechte während der Versammlungen sachlich blieben„, erinnert sich Niemann.4 Über Heinrich Kruse bestanden bereits Kontakte nach Hagen. Die Eheleute Niemann fuhren zunächst für ein paar Tage nach Hagen, um sich einen Eindruck von der Gegend zu verschaffen: „Wir hatten schon vier Kinder, ein Haus im Emsland, da muss man schon gut überlegen.5

Heinz Niemann entschied sich schließlich, nach Hagen zu gehen. Sein erster Arbeitstag bei der Raiffeisenbank Hagen war am 17. Mai 1976. „Wir haben dann überhaupt erst einmal richtiges Bankwesen eingeführt“,6 erinnert sich Niemann an die ersten Monate bei der Raiffeisenbank Hagen. „Wir hatten damals eine Bilanzsumme von 18,8 Mio. DM. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. 1982 hatten wir eine Bilanzsumme von 88 Mio. DM.7

Strukturelle und personelle Veränderungen / 1976-1978

Die Jahre 1976 bis 1978 waren bei der Bank mit einigen personellen und strukturellen Veränderungen verbunden. Der Vorstand bestand damals aus drei Landwirten und dem Elektromeister Ludwig Kriege (1970-1992). Also alles keine gelernten Bankkaufleute.

  • Heinrich Meyer to Bergte (Landwirt), seit 1935
  • Bernhard Schulte to Brinke (Landwirt), seit 1948
  • Aloys Völler (Landwirt), seit 1961
  • Ludwig Kriege (Elektromeister), seit 1970

Dem Aufsichtsrat gehörten damals die folgenden Personen an:

  • Heinrich Kruse (Landwirt), seit 1954
  • Fritz Stukenborg (Rektor), seit 1969
  • Theodor Elixmann (techn. Angestellter), seit 1970
  • Josef Thiesmeyer (Landwirt), seit 1973

 

Ehrenamtliches Vorstandsmitglied Ludwig Kriege und Aufsichtsratsmitglied Heinrich Kruse (Quelle: Festschrift 100 Jahre VB GMHütte-Hagen, 1994, S. 43).

Mit der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes wurde 1974 das Vier-Augen-Prinzip vom Gesetzgeber eingeführt. Jede Genossenschaftsbank hatte nun zwei hauptamtliche Vorstände zu beschäftigen. Das war für viele (kleine) Genossenschaftsbanken schwer zu realisieren, da die Größe, der Geschäftsumfang und die Bilanzsumme zwei volle Gehälter kaum hergaben. Vielerorts löste das Vier-Augen-Prinzip Verschmelzungen unter (kleineren, meist ländlichen) Genossenschaftsbanken aus. Auch in Hagen musste man nun überlegen, wie man strategisch vorgehen wollte.

Der Vorstandsvorsitzende Heinrich Meyer to Bergte schied 1976 aus dem bis dahin ehrenamtlichen Vorstand aus und Heinz Niemann wurde für ihn zum – nun hauptamtlichen – Vorstand gewählt. Nach fast vierzigjähriger Tätigkeit schied zeitgleich der Rendant Hans August Büscher aus seinem Amt aus. Und 1977 verstarben die Vorstandsmitglieder Bernhard Schulte to Brinke und Aloys Völler. Die Suche nach einem neuen ehrenamtlichen Vorstand wäre nicht mehr zeitgemäß gewesen und formal vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen auch nicht durchgewunken worden. Der Bankkaufmann Reinhold Greve, der ebenfalls aus dem Emsland stammte, arbeitete seit 1976 für die Bank. Die Generalversammlung bestellte ihn 1977 zum weiteren hauptamtlichen Vorstandsmitglied. Damit bestand der Vorstand nun aus zwei hauptamtlichen Vorständen und einem ehrenamtlichen Vorstandsmitglied. Erst 1992, mit der Fusion mit der Volksbank GMHütte, wurde das Amt des ehrenamtlichen Vorstands aufgegeben und Ludwig Kriege, der den Vorstand seit 1970 als ehrenamtlicher Vorstand unterstützt hatte, schied aus seinem Amt aus.8 Noch eine Anmerkung: 1976 wurde die Satzung dahingehend geändert, dass künftig nur noch Mitglieder in den Vorstand und Aufsichtsrat gewählt werden konnten, die am Tag der Wahl das 65. Lebensjahr noch nicht überschritten hatten.9

Ende der Personalunion mit der Elektrizitätsgenossenschaft

Bis 1976 bestand eine „Personalunion“ von Raiffeisenbank und Elektrizitätsgenossenschaft. Beide Genossenschaften hatten einen eigenen Vorstand und einen eigenen Aufsichtsrat. Der Rendant Hans August Büscher hatte sich jedoch um die Geschäfte beider Genossenschaften gekümmert, in seinem Haus in Hagen. Mit der Ankunft von Heinz Niemann wurde diese Personalunion nun aufgelöst: „Es schien mir besser, die Genossenschaften zu entflechten. Ich habe dann mit den beiden Vorständen gesprochen, die Geschäfte zu trennen und auch die Genossenschaften in getrennten Räumlichkeiten unterzubringen. Das haben wir dann realisiert und die Bank konnte sich wieder auf das eigentliche Bankgeschäft konzentrierten.“10

1976 übernahm die Geschäftsführung Helmut Eicker, der seit 1972 als Bankkaufmann in leitender Position bei der Raiffeisenbank beschäftigt war. Damit schied Eicker dann aus der Bank aus und übernahm hauptamtlich die Geschäftsführung der Elektrizitätsgenossenschaft. Zeitgleich bezog die Elektrizitätsgenossenschaft eigene Räume in einem kleinen Büro in der Straße Zum Jägerberg.

Schon seit 1974 hatte man diese Trennung diskutiert. Der Vorstandsvorsitzender der Elektrizitätsgenossenschaft Heinrich Ehrenbrink-Schöpper war 1974 verstorben. Im Dezember 1974 wurde Ludwig Kriege (Vorstandsmitglied der Bank, siehe oben) neuer Vorstandsvorsitzender der Elektrizitätsgenossenschaft. Bereits während dieser personellen Veränderung eröffnete man die Diskussion, ob es operativ und strategisch nicht besser wäre, wenn man die beiden Genossenschaften räumlich und personell trennen würde, zumal die kaufmännischen und vor allem auch die technischen Fragen immer mehr Know-How verlangten, was ein Geschäftsführer ’nebenbei‘ gar nicht leisten konnte.11

Neues Wachstum und neues Bankgebäude

Dem Management der Bank gelang es, in nur sechs Jahren die Bilanzsumme zu vervierfachen (1982: 88 Mio. DM). „Bis in die 1970er Jahre war der Bankbetrieb sehr einfach organisiert. Es wurden vielfach nicht mal richtige Kreditverträge aufgesetzt, meist wurde der Betrag im Protokollbuch aufgeschrieben, dann dem Vorstand vorgestellt, abgezeichnet und das war´s. Auch waren die Diskussionen nicht so intensiv wie heute. Man kannte sich untereinander, man kannte die Familien, man wusste um den Charakter der Person, die einen Kredit beantragte. Da wurde kurz ‚ja‘ oder ‚nein‘ gesagt. Auch das Protokoll war sehr kurz. Viel weniger Aufwand als heute. Herr Büscher hat wohl immer gesagt, >ein Auto finanzieren wir nicht, das kann man gegen einen Baum fahren<.12

Alle Prozesse im Bankbetrieb waren schmal. Das Vertrauen in die Menschen und, dass man sich untereinander kannte, ersetzte häufig den aufwendigen ‚Papierkram‘, der heute aller Orts aufgrund der neuen Größenordnungen von Volks- und Raiffeisenbanken und wegen den umfassenden regulativen Auflagen notwendig ist. Viele Geschäfte der Bank waren zu dieser Zeit Hypothekarkredite zur Finanzierung neuer Eigenheime. Auch diese Finanzierungen wurde verhältnismäßig simpel abgewickelt: „Der Notar kam dienstags in die Bank, dann wurde alles kurz durchgesprochen, die entsprechende Grundschuld für das Objekt bestellt und damit war die Voraussetzung für das Darlehn gewährleistet.13 Und auch der sonstige Betrieb war noch ein anderer: „Wir hatten so 100 bis 150 Kundenbesuche pro Tag. Teilweise brachten die Kunden ihre Rechnungen mit und die Überweisungsformulare wurden dann von unseren Mitarbeitern ausgefüllt. Alles ohne Gebühren. Wir hatten viel Scheck- und Wechselgeschäft. Ab Ende der 1970er Jahre wurde den Bauern auch kein Milchgeld mehr ausgezahlt. Das ging jetzt auch bargeldlos.14

Neues Bankgebäude in Hagen, fertiggestellt 1979 (Quelle: Festschrift 100 Jahre VB GMHütte-Hagen, 1994, S. 39)

Der Geschäftsumfang wuchs also immer weiter. Dahinter steckte eine umfassende Marktbearbeitung, wie sich Heinz Niemann erinnert: „Ich hab die ersten zwei Jahre ohne meine Familie hier gewohnt, im Hotel gelebt. Abends hatte ich damit also freie Zeit, die ich u.a. für die Lohnbuchhaltung genutzt habe, aber auch zur Akquise. Ich habe jeden Firmenkunden angesprochen, um mich vorzustellen. Ich habe Zettelchen in die Kontoauszugstaschen gelegt, dass ich mit dem und dem sprechen möchte. Wenn die Kunden dann kamen, um die Kontoauszüge abzuholen, hat die Mitarbeiterin gesehen, dass ich mit demjenigen gern sprechen möchte. Die Kolleginnen haben den Kunden dann zu meinem Büro geführt. So bin ich mit den Kunden ins Gespräch gekommen, um sich gegenseitig kennenzulernen. Damals war die Sparkasse hier noch die größere Bank. Dann kam im Oktober 1976 die OLB und eröffnete eine Filiale in Hagen. Damit entwickelte sich ein neuer Wettbewerb.15

Richtfest in Hagen, 1979 – im Bild: Heinz Niemann (links), Ludwig Kriege, Fritz Stukenborg und Alexander Himmermann (Baufirma Möller) (Quelle: Festschrift 100 Jahre VB GMHütte-Hagen, 1994, S. 43).

Schon bei meinem Einstellungsgespräch sprachen wir über den Bau eines eigenen Bankgebäudes“, erinnert sich Heinz Niemann.16  Anfang 1978 wurde in einem Architektenwettbewerb der passende Entwurf für eine neues größeres Bankgebäude in Hagen gesucht. Im März 1980 konnte das neue Bankgebäude in Benutzung genommen werden. 1976 hatte die Bank zudem die erste Zweigstelle eröffnet: Zweigstelle Niedermark im Haus W. Worpenberg, Kummerskamp 4. 1980 folgte die Eröffnung einer weiteren Zweigstelle, der Zweigstelle Holzhausen, im Haus des Steuerberaters Beermann (Sutthauser Straße 49).17

Team der Raiffeisenbank Hagen, 1979 (Quelle: Festschrift 100 Jahre VB GMHütte-Hagen, 1994, S. 43)

 

1. Interview mit Heinz Niemann am 28.11.2018.

2. Ebd.

3. Ebd.

4. Ebd.

5. Ebd.

6. Ebd.

7. Ebd.

8. Festschrift 100 Jahre Volksbank GMHütte-Hagen eG, 1994, S. 39-41.

9. Interview mit Heinz Niemann am 28.11.2018.

10. Ebd.

11. 100 Jahre Volksbank GMHütte-Hagen, S. 92.

12.  Interview mit Heinz Niemann am 28.11.2018.

13. Ebd.

14. Ebd.

15. Ebd.

16. Ebd.

17. 100 Jahre Volksbank GMHütte-Hagen, S. 41f.