Die Zahl der Genossenschaften stieg bis 1924 „von Jahr zu Jahr“1. In einer Festschrift anlässlich des 65-jährigen Jubiläums des Verbandes ländlicher Genossenschaften Hannover-Braunschweig e.V. heißt es: „Deutlich spiegelt sich in den Grünungsziffern die allgemeine wirtschaftliche Lager wider. Zeiten der Kreditnot äußern sich in einer Zunahme der Gründungen von Spar- und Darlehnskassen, Zeiten des Arbeitskräftemangels in einer Ausweitung des genossenschaftlichen Maschineneinsatzes [Anm. d. V.: landwirtschaftliche Maschinen], Zeiten schwieriger Absatzverhältnisse in einer Zunahme der Verwertungsgenossenschaften. Die Entwicklung der Technik bringt gleichfalls neue Aufgaben für die genossenschaftliche Betätigung. Es entstehen Elektrizitäts– und später auch Grünfuttertrocknungs- und Kalthausgenossenschaften. Die Gründung vieler Genossenschaften ist vor allem in den ersten Jahrzehnten durch landwirtschaftliche Vereine veranlaßt oder doch maßgeblich gefördert worden.“2 1919 / 1920 ging eine Gründungswelle über den niedersächsischen Raum: Die Warenverknappung in den Nachkriegsjahren führte – oftmals unter Absplitterung von einer bestehenden Genossenschaft – zu neuen Gründungen. Ihre Existenzberechtigung war der Mangel. Ab 1925 nahm die Zahl der Neugründungen dann erheblich ab. Viele Genossenschaften (offenbar vor allem solche, die seit 1914 gegründet worden waren), wurden wieder aufgelöst, oder weil sie die Währungsumstellung 1924 nicht durchgeführt hatten, für nicht mehr „bestehend erklärt“.3 Vor allem Kreditgenossenschaften litten darunter, dass sich keine geeigneten Führungskräfte finden ließen.

Beitritte zum Verband – aus anderen Gründen…

Ab 1927 nahm die Zahl der Neugründungen ab – allerdings nicht die Zahl der Beitritte zum Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften. Diese sind jedoch mit anderen Faktoren zu erklären:

  • 87 Genossenschaften traten dem Verband bei, da der Verband westdeutscher Landbundgenossenschaften in Hamm (Westfalen) aufgelöst worden war und diese Genossenschaften nun einen neuen Prüfungsverband brauchten.
  • Weitere 312 Genossenschaften traten dem Verband bei, da der Verband der Raiffeisengenossenschaften in Braunschweig zum 26. Oktober 1931 mit dem Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften verschmolz.
  • 1933 wurden – in Folge der kommunalen Neugliederung – weitere zwölf Genossenschaften aufgenommen. Diese hatten ihren Sitz im Kreis der Grafschaft Schaumburg und gehörten bis dahin dem Kurhessischen Verband an.

Daneben bestanden bis 1934 auch so genannte ‚wilde Genossenschaften‚, die keinem Verband angeschlossen waren. Die Revision besorgte hier in der Regel ein staatlich bestellter Revisor. Diese Genossenschaften konnten auch nicht auf die Services eines Verbandes zurückgreifen (z.B. Formulare, rechtliche Beratung, Schulungen). „Die Folge waren zahlreiche Veruntreuungen und Verluste, welche das Ansehen des gesamten Genossenschaftswesens beeinträchtigten.“4

Das Verbandsgebiet

Gegründet wurde der Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften als Revisionsverband der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Provinz Hannover und im Hamburger Gebiete. Das Verbandsgebiete umfasste die Provinz Hannover und das Gebiet der Freien Hansestadt Hamburg. Mit dem Beschluss des Verbandstages am 7. Mai 1894 wurde das Verbandsgebiet ausgeweitet auf: Braunschweig, Lippe-Detmold, Schaumburg- Lippe, Waldeck-Pyrmont und den Kreis Rinteln (gehörte noch zur Provinz Hessen-Nassau). Verbandsdirektor Dr. Heinrich Meyerholz, der die Festschrift anlässlich des 65-jährigen Bestehens des Verbandes verfasste, interpretierte diese Ausweitung als Reaktion auf das Vorgehen anderer Verbände: Der Beschluss resultiere weniger aus Anschlusswünschen von Genossenschaften, als vielmehr aus „Bestrebungen von Nachbarverbänden, in der Provinz Hannover Genossenschaften zu gründen und diese ihren Verbänden anzuschließen.“5

Am 26. Oktober 1931 erfolgte im Zuge einer allgemeinen Rationalisierungswelle im deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens die Verschmelzung des Verbandes der Raiffeisen-Genossenschaften in Braunschweig e.V. (zu diesem Zeitpunkt gehörten dem Verband 312 Genossenschaften an, siehe oben) mit dem Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Das braunschweigische Genossenschaftswesen war stark angeschlagen: Die Spar- und Darlehnskassenvereine hatten große Verluste bei der Deutschen Raiffeisenbank erlitten und auch die Raiffeisen-Handelsgesellschaft war wirtschaftlich angeschlagen, potenziert durch die Weltwirtschaftskrise.6 Im Rahmen dieser Fusion erhielt der Verband den Namen Verband ländlicher Genossenschaften Hannover-Braunschweig e.V.

 

Schreiben des Verbandes ländlicher Genossenschaften Hannover-Braunschweig e.V. an das Amtsgericht Melle (Quelle: Bank)

Im Herbst 1933 wurde mit dem Verband ländlicher Genossenschaften der Provinz Westfalen e.V. (Münster) ein Abkommen geschlossen, dass der westfälische Verband sämtliche Genossenschaften abgab, die ihren Sitz in der Provinz Hannover oder in Schaumburg-Lippe hatten, dafür der Verband in Hannover alle Genossenschaften an den Verband in Münster abgab, die ihren Sitz in der Provinz Westfalen oder in Lippe-Detmold hatten.

Besonders schmerzlich war es, daß auf Betreiben des Gauleiters der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und des Reichsstatthalters für den Gau Weser-Ems am 31. Dezember 1943 sämtliche Genossenschaften in den Regierungsbezirken Osnabrück und Aurich an den verband oldenburgischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. in Oldenburg abgegeben werden mußten, der später in Raiffeisenverband Weser-Ems e.V. umfirmierte. Wir verloren damals 3 Zentralgeschäftsanstalten (…), 560 örtliche Genossenschaften„,7 darunter 143 Kreditgenossenschaften. Das war der Beginn der Mitgliedschaft der Vorgängerinstitute der heutigen VB GHB beim Genossenschaftsverband Weser-Ems e.V.

Genossenschaftsgesetz – Novelle 1934

Bereits nach der Wirtschaftskrise war das Genossenschaftsgesetz in der Überarbeitung. Am 30. Oktober 1934 trat die Neufassung in Kraft. Die Verbände „bekamen erweiterte Rechte, aber auch vermehrte Pflichten8. Bis 1934 war der Wechsel zu einem anderen Verband relativ einfach. Es kam sogar vor, dass Genossenschaften den Verband verließen, nur um der routinemäßigen Prüfung zu entgehen. Das wurde mit der Novelle nun erschwert. Auch konnten die Prüfungsverbände nun die Abstellung von Mängeln besser durchsetzen als zuvor. Die Novelle führte auch dazu, dass sich 98 der so genannten ‚wilden Genossenschaften‘ dem Verband anschlossen. Gerade der ‚Anschlusszwang‘ ist (seit 1945) viel diskutiert.9

‚Rationalisierung’…

Die ab 1934 „betriebene Politik des Verbandes, nur dann die Neugründung einer Genossenschaft zu empfehlen, wenn nicht eine bereits bestehende Genossenschaft die zu lösende Aufgabe mit übernehmen kann„, führte endgültig zum Rückgang von Neugründungen.10 Viele kleine Genossenschaften zogen freilich auch viel Verwaltungsaufwand nach sich, nicht zuletzt die Arbeit der ehrenamtlichen Organmitglieder vor Ort mit gerechnet (oftmals ließ sich gar nicht die benötigte Zahl geeigneter Personen finden, oder geeignete Personen hatten noch viele weitere Ämter, waren damit insgesamt stark eingebunden). So wurden Neugründungen sorgfältig geprüft und auch Verschmelzungen dort empfohlen, wo (zudem) Genossenschaften klein waren oder sich Geschäftsbezirke von Genossenschaften überschnitten. Neugründungen waren seit der Einführung des KGW (Kreditwesengesetz, Inkrafttreten 1. Jan. 1935) grundsätzlich von dem ‚Go‘ der Bankenaufsicht abhängig.11 Molkereigenossenschaften mit zu kleiner Milchanlieferung wurden geschlossen, mit benachbarten Milchgenossenschaften fusioniert oder durch Spar- und Darlehnskassen am Ort übernommen und die Räumlichkeiten zu Lagern oder Geschäftsräumen umgebaut…

 

1. Meyerholz, Heinrich (Autor): 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig. Erinnerungsschrift zum 65jährigen Bestehen des Verbandes ländlicher Genossenschaften Hannover-Braunschweig, Hannover 1954, S. 22.

2. Ebd.

3. Ebd.

4. Ebd., S. 23.

5. Ebd., S. 26.

6. Siehe ausführlich Bormann, Patrick / Scholtyseck, Joachim / Wixforth, Harald: Die kreditgenossenschaftlichen Zentralinstitute vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur bedingungslosen Kapitulation des NS-Staates (1914-1945). In: Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Die Geschichte der DZ BANK. Das genossenschaftliche Zentralbankwesen vom 19. Jahrhundert bis heute, München 2013, S. 145-294.

7. Meyerholz: 65 Jahre, S. 27.

8. Ebd., S. 23.

9. Siehe etwa Kaltenborn, Wilhelm: Die historischen Wurzeln des Anschlusszwanges der Genossenschaften an Prüfungsverbände. In: 125 Jahre Genossenschaftsgesetz – 100 Jahre  Erster Weltkrieg. Beiträge zur 9. Tagung zur Genossenschaftsgesetzte am 7.-8. November 2014 im Hamburger Gewerkschaftshaus, hg. v. der Heinrich-Kauffmann-Stiftung und vom Adolph von Elm Institut für Genossenschaftsgeschichte, Hamburg 2015, S. 51-58.

10. Meyerholz: 65 Jahre, S. 23.

11. Müller, Christoph: Die Entstehung des Reichsgesetzes über das Kreditwesen vom 5. Dezember 1934 (Schriften zur Rechtsgeschichte 97), Berlin 2003, u.a. S. 203.; Zur Aufhebung dieser Regelungen siehe Büschgen, Hans E.: Zeitgeschichtliche Problemfelder des Bankwesens der Bundesrepublik Deutschland. In: Deutsche Bankengeschichte, Bd. 3, hg. v. Institut für bankhistorische Forschung, Frankfurt am Main 1983, S. 351-409.